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Blankeneser diskutieren: Flucht und Asyl in Europa – Was tun?

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Blankenese (15.11.2013, Cornelia Strauß) Zwischendurch lachten die Diskutanten, doch das Thema blieb ernst. Fünf Fachleute rangen im Gemeindehaus Blankenese um Lösungen zur aktuellen Flüchtlingsfrage. Asylrecht in Europa, Lampedusa-Flüchtlinge in St. Pauli, deutsche Gesetzgebung und EU-Richtlinien – komplex waren die Themen für die Vertreter aus Justiz, Politik, Kirche und Diakonie. ZEIT Online-Redakteur Lenz Jacobsen moderierte das Podium, mehr als 70 Zuhörer diskutierten mit.

„Gestern haben wir Wohncontainer für die afrikanischen Gäste der St. Pauli-Kirche aufgebaut“, sagte Pastor Sieghard Wilm: „Der Bezirk Altona hat sich in bewundernswerter Weise in einem Bündnis aller Parteien hierfür gerade gemacht.“ Damit könne die Kirche die humanitäre Situation der Flüchtlinge gestalten, so der St.-Pauli-Pastor: „Zahlreiche Ehrenamtliche helfen mit, auch mit kostenlosen Sprachkursen.“ Der Pastor schmunzelte: „Darunter sind viele Deutschlehrerinnen vom alten Schlag, wie ich sie noch aus der Schulzeit kenne.“

Die Flüchtlinge aus Afrika, das steht fest, kommen warm und sicher über den Winter. Doch wie groß ist ihr rechtlicher Spielraum in Deutschland? Reinhard Wilke, Richter am Oberverwaltungsgericht Schleswig, erklärte den Rechtsweg: „Wir müssen ihren Fluchtstatus klären. Sie sprechen hier in Blankenese von Menschen und Gästen.“ Das seien wichtige Stichworte der Zivilgesellschaft: „Die Justiz arbeitet hingegen mit Begriffen aus dem Rechtsbereich.“ Sind es Menschen, die aus Gefahr für Leib und Leben Asyl suchen? „Dann“, so Wilke, „erhalten sie auch Asyl. Das ist bindende völkerrechtliche Konvention in der BRD und in der EU, die inzwischen erweitert wurde.“ Racheakte von Clans, Klitorisbeschneidung und das Fehlen eines Staates, der Rechtssicherheit bietet, gehören dazu.

Doch hier liegt der erste Haken: „Ein vermeintlich rechtsstaatlicher Schutz ist bei vielen Staaten kaum überprüfbar“, erklärte Anne Harms, Leiterin von Fluchtpunkt. Die kirchliche Hilfsstelle der Nordkirche hat die Aufgabe, Anwalt der Flüchtlinge zu sein. Harms: „Ein Rechtsstaat zeichnet sich nicht nur durch Verordnungen aus. Wir müssen prüfen, ob sie mit der Verfassung und der zitierten Menschenwürde in den Fluchtländern vereinbar sind. Das ist oft nicht möglich.“

Die größte Zahl der Flüchtlinge sind nach Rechtsexperte Wilke Migranten, etwa aus wirtschaftlichen Gründen. Gleich hier verwies Pastor Wilm auf  St. Pauli: „Angesichts menschlicher Dramen hilft die Unterscheidung zwischen Arbeitsmigranten und Flüchtlingen wenig. Flüchtling oder Migrant: Wir müssen helfen.“ Das betonte auch Christiane Schneider, Verlegerin und Mitglied der Linken in der Hamburger Bürgerschaft: „Die Menschen, die kommen, nehmen ihren Tod in Kauf, um nach Europa zu gelangen. Dass Menschen durch uns zu Tode kommen, dürfen wir als zivilisierte Europäische Union nicht hinnehmen.“

„Wird es besser, wenn wir allen Flüchtlingen die Tore öffnen?“ fragte Moderator Jacobsen. „Was ist die  Antwort der Politik?“ Die richtige Sprache sei hier eine besondere Gradwanderung, meinte Karin Prien (CDU). Die Rechtsanwältin, ebenfalls Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, warnte davor, dass die eine Seite der anderen in der Argumentation das moralische Recht abspricht. „Wenn wir in Hamburg weiterkommen wollen, müssen wir das ändern“, so Prien: „Ich sehe keinen Widerspruch zwischen Rechtsstaat und Humanität. Alle Parteien in Altona haben fraktionsübergreifend dafür gestimmt, dass die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg über den Winter kommen und innerhalb des Bleiberechts alle Prüfungen durchlaufen können, und zwar  innerhalb eines verfassungsgemäßen Regelwerks: Dies als Bürokratie zu bezeichnen ist wertend.“

Das Publikum nickte zustimmend mal bei der einen, mal bei der anderen Sichtweise, doch schon waren sich beide Vertreterinnen der Hamburger Bürgerschaft wieder einig: „Die Entscheidung im Bezirk Altona für die Lampedusa-Flüchtlinge ist richtig.“ Prien mit Blick auf die Zukunft: „Flüchtlinge müssen besser behandelt werden. Das Arbeitsverbot ist eine schlechte Lösung. Wir müssen bei minderjährigen Flüchtlingen anfangen und sie ausbilden.“ Das hörte Anne Harms von Fluchtpunkt gern. Sie erlebt in der Praxis immer wieder, dass Jugendliche keine Papiere haben, ihr Alter zu hoch eingestuft wird und sie deshalb keine Schulbildung mehr erhalten.

„Solche Impulse kommen immer aus der Gesellschaft“, meinte Christiane Schneider. „Jetzt muss die Politik sie aufgreifen.“ Hinzu komme, dass Deutschland dringend Zuwanderer braucht. Das belegte Dr. Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und als Blankeneser Gemeindemitglied mit aktuellen Zahlen.

Klar wurde an dem Abend auch: Keine gesellschaftliche Gruppe kann alleine für das Asylrecht neue rechtliche Verfahren entwickeln. Dr. Denise von Quistorp erklärte dazu die Position der GemeindeAkademie Blankenese, die mit dem ‚Runden Tisch - Hilfe für Flüchtlinge’ zu dieser Diskussion eingeladen hatte: „Probleme von  Flucht und Asyl in Europa können Verantwortliche und Gruppen nur gemeinsam lösen. Denn auch die Verantwortung hat ja niemals nur einer allein.“

Letzte Änderung am Donnerstag, 26 Februar 2015 18:16