High Noon in den Elbvororten?
{AG}
Elbvororte (16.04.2015, Kommentar von Wolf Achim Wiegand) · „Nicht die Maus ist der Dieb, sondern das Mauseloch“. So steht es im Talmud, der Sammlung jüdischer Gesetze und religiöser Überlieferungen. Und genau daran habe ich mich erinnert gefühlt. Kürzlich, nach der Veröffentlichung der neusten Kriminalitätsstatistik für Hamburg. Warum?
Weil die nackten Zahlen über das Auf und Ab bekanntgewordener Straftaten je nach politischer Ausrichtung gedeutet werden. Statistik ist bekanntlich biegsam wie ein Bambusrohr. Für die einen birgt das Zahlenwerk den Beweis für Erfolge der Polizei (in der Regel für die Regierenden). Die anderen (in der Regel die Opposition) deuten Prozente, Plus- und Minuspunkte als Beleg für den Misserfolg der Polizei – und der Politik gleich mit.
An dieser Stelle ist eines der am häufigsten verwendeten Zitate fällig: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast.“ Ein Ausspruch, der wahlweise Winston Churchill, Joseph Goebbels oder Johannes Rau zugeschrieben wird. Die wahre Quelle der berühmten Bemerkung bleibt mangels Belegs verborgen und erweist sich somit als genauso schillernd, wie der Gegenstand, auf den sie abhebt: die Statistik.
Was also ist wahr? „Die Reeperbahn ist der größte Kriminalitätsschwerpunkt in Hamburg“ sagte Udo Nagel im Jahre 2005. Also der Mann, der unter Ronald „Richter Gnadenlos“ Schill als Polizeipräsident von Hamburg wirkte und später Innensenator wurde. Ein Satz, der schon damals eine Binse war. Wo Rotlicht dominiert, da dürfte das gesellschaftlich akzeptierte Maß an Wohlverhalten eher nicht so verbreitet sein.
Zurück zu den beschaulichen Elbvororten. „Der Wahlkreis 4 und speziell der Stadtteil Blankenese entwickelt sich zunehmend zu einem Kriminalitätsschwerpunkt in Sachen schwerer Einbruch, Überfall und Raub“ heißt es dieser Tage ganz aktuell aus den Reihen der Bürgerschaftsopposition. Ein sehr großes Boulevardblatt schlagzeilte sogar: „Alarmstimmung in Hamburgs Westen!“
Anhänger des Senats dagegen heben dagegen im vollen Brustton hervor, wie erfreulich es sei, „dass die Aufklärungsquoten steigen“. Und der Innenpräses selbst setzt noch einen drauf, nämlich bei der Jugendkriminalität: „Mehr als 95 Prozent der unter 21-Jährigen in Hamburg sind kriminalpolizeilich nicht in Erscheinung getreten“. Vermutlich lässt sich das auch für die über 81jährigen sagen, oder?
Statistikdeuter gleichen einem Hühnerhaufen, wo die Hennen nur nach Körnern picken, von denen sie genau wissen, dass sie schmecken. Andere Getreidefrüchte lassen sie links liegen. Oder rechts. Je nachdem.
Sollten wir uns also mit einem – verbürgten! – Zitat des Turiner Gelehrten Guido Ceronetti (86) trösten, jenem Mann, der voller Quellentreue weite Teile der Bibel ins Italienische übersetzte? „Der Staat, der am besten vor der individuellen Kriminalität schützt, ist der Terror-Staat, der Psychosen- und Gedankensteuerung an all seinen beschützten Bürgern praktiziert.“ Will heißen: eine freie Gesellschaft wird niemals hundertprozentig sicher vor kriminellen Abweichungen sein.
Nein!!! Nicht trösten lassen! Schreiten Sie zur Tat und machen Sie sich selbst ein Bild! Die vollständige Kriminalstatistik einschließlich Stadtteil-Atlas ist im Internet abrufbar. Ihre Meinung? Bitte E-Mail an: