Die Lebenswege von Leon Daniel Cohen und Käthe Starke-Goldschmidt
Ausstellung „Altona – Theresienstadt“ im Altonaer Museum eröffnet
ALTONA (8. November 2024, PM) · Vor dem Hintergrund des Jahrestages der nationalsozialistischen Pogrome vom 9. und 10. November 1938 wurde gestern im Altonaer Museum die Ausstellung „Altona – Theresienstadt“ eröffnet. Die in Kooperation mit dem deutschen Freundeskreis der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem entstandene Ausstellung begibt sich ausgehend von einem aus dem KZ Theresienstadt geretteten Thoraschreins und einem Konvolut von Zeichnungen und Dokumenten zur Lagersituation der Deportierten im KZ Theresienstadt auf die Spuren von Leon Daniel Cohen und Käthe Starke Goldschmidt aus Altona. Die Ausstellung zeigt anhand der Rekonstruktion der beiden Lebenswege, welche Lücken in der Erinnerungsgeschichte die Verfolgung, die Deportation und die Ermordung der Altonaerinnen und Altonaer jüdischer Abstammung hinterlassen haben. Die Ausstellung ist bis zum 12. Mai 2025 zu sehen und wird von einem Programm mit Führungen, Vorträgen und musikalischen Lesungen begleitet.
Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien betonte, welch große Bedeutung jüdisches Leben in Altona seit Jahrhunderten hatte: „Die Lebenswege von Leon Daniel Cohen und Käthe Starke-Goldschmidt machen deutlich, mit welcher unvorstellbaren Brutalität die Nationalsozialisten Jüdinnen und Juden aus der Mitte unserer Gesellschaft gerissen haben. Das Altonaer Museum verdeutlicht mit den Zeichnungen und Dokumenten von Käthe Starke-Goldschmidt aus dem KZ Theresienstadt, in was für eine Hölle die National-sozialisten jüdische Hamburgerinnen und Hamburger deportiert haben. Die Ausstellung ‚Altona – Theresienstadt. Die Lebenswege von Leon Daniel Cohen und Käthe Starke-Goldschmidt‘ hält die Erinnerung an die ermordeten Jüdinnen und Juden wach und mahnt uns, alles zu tun, damit wir aus der Geschichte für ein friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft lernen.“
Aus Anlass des 70. Gründungstages der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem wurde im Januar 2023 im Deutschen Bundestag die Ausstellung “Sechzehn Objekte – Siebzig Jahre Yad Vashem“ gezeigt. Die dort gezeigten Objekte aus der Sammlung von Yad Vashem repräsentierten die 16 deutschen Bundesländer, in die sich deren Geschichte zurückverfolgen lässt. Bei dem Objekt aus Hamburg handelte es sich um den von Leon Daniel Cohen angefertigten Thoraschrein (Aron Hakodesh), der über das KZ Theresienstadt in die Gedenkstätte Yad Vashem gelangte. Leon Daniel Cohen führte in Altona ein Geschäft für Leder und Schuhmacherbedarfsartikel, wo er mit seiner Frau Adele und den 1935 und 1936 geborenen Kindern auch wohnte. Den dort entstandenen Thoraschrein nahm Cohen bei seiner Deportation nach Theresienstadt mit. 1944 wurden Leon Daniel Cohen und seine Familie in Auschwitz ermordet. Der Thoraschrein, der in der in Kooperation mit dem deutschen Freundeskreis Yad Vashem erarbeiteten Ausstellung im Altonaer Museum zu sehen ist, bildet den Ausgangspunkt für die Suche nach Erinnerungsspuren, die Leon Daniel Cohen und seine Familie in Hamburg-Altona hinterlassen haben. Anhand von Fotos und Dokumenten aus dem Familienbesitz, die sich mittlerweile in der Sammlung des Stadtteilarchivs Ottensen befinden, und anhand von Archivalien aus Yad Vashem werden die Spuren einer Familie erkennbar, die jahrhundertelang in Altona ansässig war und eine wichtige Rolle in der jüdischen Gemeinde spielte. Dennoch bleiben in der Rekonstruktion des Lebensweges der Familie Cohen viele Leerstellen.
Deshalb wird in der Ausstellung ergänzend die Geschichte von Käthe Starke-Goldschmidt in den Blick genommen, die ebenfalls von Altona nach Theresienstadt deportiert wurde, die Shoa jedoch glücklicherweise überlebte. Bei ihrer Rückkehr nach Hamburg brachte Käthe Starke-Goldschmidt ein Konvolut von im Geheimen gesammelten Zeichnungen und Dokumenten aus dem KZ Theresienstadt mit, die einen Blick auf die Lagersituation der Deportierten ermöglichen - und zwar aus deren eigener Sicht. Künstler wie Alfred Bergel, Karel Fleischmann, Felix Bloch oder Otto Ungar hielten Arbeitseinsätze, geheime Gottesdienste auf Dachböden oder die Ankunftsszenarien von Deportieren fest. Heute ist dieses „Theresienstadt Konvolut“ Teil der Sammlung des Altonaer Museums. Käthe Starke-Goldschmidts Nachlass befindet sich in der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte und liefert viele Informationen zu ihrem Leben in Altona in den 1930er und 1940er Jahren. Außerdem erlaubt der Nachlass einen detaillierten Einblick in die Verhältnisse im KZ Theresienstadt. Erhalten haben sich ihre Lebensmittelmarken, Befehle zur Teilnahme an den Dreharbeiten für einen NS-Propagandafilm sowie ihre Briefe und Postkarten.
Hans-Jörg Czech, Vorstand der Stiftung Historische Museen Hamburg: „Bei der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Shoa spielt für Geschichtsmuseen neben der öffentlichen Vermittlung von historischen Zusammenhängen auch die Rekonstruktion von einzelnen Lebensgeschichten der Opfer des NS-Terrors eine wichtige Rolle. Der Blick auf individuelle Biografien verschafft den Verfolgten, Erniedrigten und Ermordeten das ihnen gebührende Angedenken und ermöglicht oft zugleich ein genaueres Verständnis der perfiden Abläufe und Strategien des nationalsozialistischen Vernichtungspolitik insgesamt. Ich danke dem Team des Altonaer Museums und dem deutschen Freundeskreis Yad Vashem für die Erarbeitung der aktuellen Ausstellung.“
Über die Lebensgeschichte von Käthe Starke-Goldschmidt und mit dem von ihr zusammengetragenen Material lassen sich einige Rückschlüsse auf die Situation der Familie Cohen herstellen. Doch Käthe Starke-Goldschmidts Lebensweg ging nach 1945 weiter. Jahrelang kämpfte sie um die Rückgabe ihres von den Nationalsozialisten verfolgungsbedingt entzogenen Besitzes. 1975 veröffentlichte sie ein Buch mit Erinnerungen an ihre Zeit in Theresienstadt und die Menschen, auf die sie dort traf. 2021 wurde der Altonaer Bonnepark, der nach dem Arzt und Nationalsozialisten Georg Bonne benannt war, zur Erinnerung an Käthe Starke Goldschmidt in Goldschmidtpark umbenannt.
Anja Dauschek, Direktorin des Altonaer Museums: „Etwa 10.000 Hamburger und Altonaer Jüdinnen und Juden wurden Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. An viele von ihnen erinnern heute „Stolpersteine“. Mit unserer Ausstellung und den begleitenden Veranstaltungen wollen wir zwei Lebenswege sichtbar machen und so zum Schließen von Lücken in der Erinnerungsgeschichte beitragen. Ich danke dem Freundeskreis Yad Vashem e.V. für die gemeinsame Erarbeitung der Ausstellung, sowie der Landeszentrale für politische Bildung und der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte für die Erarbeitung des umfangreichen Begleitprogramms, mit dem wir zum Ende der Ausstellung im Mai 2025 auch an das Ende des 2. Weltkrieges vor 80 Jahren erinnern. Mein Dank gilt auch den weiteren Unterstützern, die die Realisierung der Ausstellung ermöglichten.“