Windkraftwerke in Sülldorfer Feldmark konkreter als gedacht
Initiativen wehren sich mit Informationskampagne
Rissen/Sülldorf (23. Mai 2025, Markus Krohn) · Acht Initiativen laden heute Medienvertreter zur Begehung der Sülldorf-Rissener Feldmark ein, um den Schutzwert der Potentialfläche für Windkraftanlagen mit einer Höhe bis zu 250 Metern zu präsentieren. Darunter die NABU Gruppe West, Naturerleben Klövensteen, die Landesjägergruppe Altona und Klövensteenreiter e.V.. Naturerleben Klövensteen hatte bereits eine Petition gegen Windkraftanlagen in Landschaftsschutzgebieten gestartet.
Die Beteiligten kritisieren nicht den Bedarf an Windkraftanlagen generell, „die Dekarbonisierung der Energieerzeugung in Deutschland ist unabweisbar eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit“, heißt es in der Pressemitteilung der Jäger. Die Initiativen befürchten jedoch, dass die Umsetzung der aktuellen Planungen „die vielfältigen Bemühungen von Landwirten, Jägern und anderen Naturschützern zum Erhalt und zur Wiederansiedlung seltener Arten wie z.B. von Wiesenbrütern (Kiebitz, Milan, Wachtelkönig u.a.) und Weißstorch akut gefährdet“ wären durch den Bau von Erschließungsstraßen, Transformatoren und meterdicken Betonfundamenten.
In Landschaftsschutzgebieten sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebiets verändern oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen. Laut Paragraf 26 des Naturschutzgesetzes ist es erforderlich, „zur Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, einschließlich des Schutzes von Lebensstätten und Lebensräumen bestimmter wild lebender Tier- und Pflanzenarten, wegen der Vielfalt, Eigenart und Schönheit oder der besonderen kulturhistorischen Bedeutung der Landschaft oder wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Erholung“ festgelegte Gebiete besonders zu schützen. Erst Anfang 2023 fügte die damalige Ampel-Koalition den Absatz 3 ein, der Windkraftanlagen in solchen Schutzgebieten nicht ausdrücklich verbietet.
Blick auf die betroffene Fläche in der Sülldorf-Rissener Feldmark. Foto: Steppke
Die beteiligten Initiativen und Vereine sehen den besonderen Charakter der Sülldorf-Rissener Feldmark gefährdet, Reiterinnen und Reiter fürchten die Schlagschatten der Rotorblätter, die ihre Tiere beunruhigen könnten, das Surren der Windräder könnte Ruhesuchende in der Feldmark verstören – mal ganz abgesehen von der optischen Einschränkung der industrieell wirkenden Windkraftriesen.
Noch im Januar wiegelten Behördenvertreter auf einer Öffentlichkeits-Veranstaltung in Rissen ab, es sei noch nichts beschlossen, und auch Altonaer Bezirkspolitiker positionierten sich gegen eine Änderung des Flächennutzungsplans im Landschaftsschutzgebiet.
Doch auch wenn der Prozess der endgültigen Auswahl der Flächen durch die Behörden noch läuft, gibt es seit ein paar Wochen von Investoren wie Prokon bereits konkrete Planungen und Vertragsangebote an die Grundbesitzer für die Potentialfläche in Sülldorf. Zuletzt informierten die Betreiber am Mittwoch vor Ort. Von den etwa 12 Grundeigentümern in dem Gebiet sind mehr als drei Viertel von ihnen an der Aufstellung von Windkraftanlagen interessiert. Kein Wunder: Die Landwirte profitieren von Pachtzahlungen, die zwischen zwanzig und hundertfünfzigtausend Euro pro Jahr liegen können.
Einer von ihnen hat sich bewusst gegen die Aufstellung von Windkraftanlagen auf seinem Grund ausgesprochen: Landwirt Jochen Ramcke will sich durch ein Windrad nicht einschränken lassen. Er befürchtet wirtschaftliche Auswirkungen auf seinen Reitbetrieb, denn die Reitwege führen direkt um die angefragte Fläche herum. Zudem wäre die Fläche nicht mehr uneingeschränkt für ihn und seine Familie landwirtschaftlich nutzbar. Die Landschaft, die seine Vorfahren seit Jahrhunderten gepflegt haben, will er langfristig schützen. Ihn stört auch die widersprüchliche Bewertung der Hamburger Behörden: „Der geltende Bebauungsplan untersagt uns, unsere Betriebe sinnvoll zu erweitern, aber Windkraftanlagen dürfen gebaut werden?“ fragt Ramcke. Landwirtschaftlich genutzte zusätzliche Gebäude oder -erweiterungen werden von dem Bebauungsplan quasi ausgeschlossen.
Die Hansestadt befindet sich in einem Dilemma. Einerseits ist sie verpflichtet, laut Windenergieflächenbedarfsgesetz bis Ende 2032 0,5% der Landesfläche als Windenergiegebiet auszuweisen. Andererseits will die Windkraftanlagen niemand haben: Auch wenn eine repräsentative Umfrage des BUND ergab, dass mehr als drei Viertel der Befragten für einen starken gesetzlichen Naturschutz sind, gibt es Hinweise darauf, dass ein signifikanter Teil der Bevölkerung Bedenken hat, insbesondere bei Windkraftanlagen in unmittelbarer Nähe.
Als Argumente führen sie die unstete Stromerzeugung, hohe Investitionskosten, visuelle und landschaftliche Beeinträchtigung, Lärmbelästigung durch Rotorgeräusche oder Gefahren für die Tierwelt an.
„Landschaftsschutzgebiete sind im Ballungsraum Hamburg unverzichtbar als Rekreations- und Erfahrungsraum für die Stadtbevölkerung. Im Fall der Rissen-Sülldorfer Feldmark wäre durch den Bau von Windkraftanlagen ein von der Bevölkerung des Hamburger Westens rege frequentierter Naherholungsraum im Kern seiner Funktion betroffen“, meinen große Teile der Bevölkerung in Rissen und Sülldorf.
Die Initiativen fordern den Senat auf, die Landschaftsschutzgebiete in Hamburg und insbesondere in der Rissen-Sülldorfer Feldmark aus der Planung der Windenergiegebiete herauszunehmen und stattdessen auf andere Bereiche wie Industrie- und Hafengebiete, Verkehrs-Trassen oder bereits bestehende Windkraftareale auszuweichen. Sollte dies nicht ausreichend möglich sein, käme auch die im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Regelung einer Ausgleichsvereinbarung mit den benachbarten Bundesländern in Betracht.
Doch auch dort wird heftig um den Bau von Windkraftanlagen gerungen. Einschränkungen befürchtet auch die Hafenwirtschaft. Die Betriebe führen Platzmangel, logistische Herausforderungen und Sicherheitsaspekte an. Aber: Irgendwo müssen zusätzliche Windkraftanlagen gebaut werden. Seit 2016 ist in der Hansestadt kein einziges Windrad mehr aufgestellt worden. Für welche Variante sich die Hansestadt letztlich entscheidet, ist offen. Spätestens in sechs Jahren fällt die Entscheidung.