Einige Ecken des Bezirks Altona gehören zu den idyllischsten Plätzchen Hamburgs. Während ganz im Osten der bunte Stadtteil Sternschanze das Flair von ein bisschen Anarchismus ausstrahlt, locken in den Elbvororten pittoreske Parks und schöne Strände. An manchen dieser Orte kann man davon träumen, dass die Welt nur friedlich ist.

Auch der alte Hochbunker im August-Lütgens-Park erinnert kaum noch an kriegerische Zeiten. Liebevoll „Kletter-August“ genannt, ragt er 20 Meter in die Höhe. Kinder und Jugendliche hangeln fröhlich an den 800 in dicken Beton gebohrten Griffen die steile Wand hinauf. Auch hier, an der Hospitalstraße 170, erinnert sich am schlafenden Relikt des Zweiten Weltkriegs kaum jemand mehr daran, das der umgewidmete Betonklotz einst ein Bombenschutz gewesen ist.

Versteckt schlafender Betonklotz: Hochbunker als Kletteridylle. Foto: Haus 3

Bundeswehr im Bezirksamt

Tatsächlich wird dieser Tage manch Ausgedientes wieder reaktiviert. Auch im Bezirk Altona laufen ernsthafte Vorbereitungen für den Ernstfall - präzise wie ein Uhrwerk. Das Stichwort lautet: Kriegstüchtigkeit. Schon vor über einem Jahr, am 7. Mai 2024, saß die Bezirksamtsleitung im Altonaer Rathaus mit der Bundeswehr zusammen, um das Thema „zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ)“ zu besprechen

„Ein Ergebnis war, dass man die Zusammenarbeit aufgrund der weltweiten geopolitischen Lage intensivieren möchte,“ sagte Amtssprecher Mike Schlink der DorfStadt-Zeitung noch kurz vor seinem Amtsende sybillinisch. Mehr mochte und konnte er nicht verraten. Doch die Botschaft ist klar: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine lässt ganz Europa auf Habacht stehen – auch Hamburg, Altona und die Elbvororte.

Auch Arbeitsagentur macht mit

Derzeit touren hochrangige Bundeswehrvertreter durch die deutschen Kommunen, um Ämter und Behörden bis in die unterste Ebene für neue kommunalen Aufgaben vor und während des Kriegsfalls zu präparieren. Anschließend wird lokal geprobt, gesichert und gecheckt. Damit es im Ernstfall nicht zum unkontrollierbaren Chaos kommt.

Selbst die Arbeitsagentur beteiligt sich an solchen Planspielen. Laut "Arbeitssicherstellungsgesetz" können Menschen im Krisenfall zu bestimmten Arbeiten verpflichtet werden. "Wenn da eine Krankenschwester wäre, die kündigen würde, müssten wir gucken, ob wir das unterbinden,“ erläuterte Agenturexperte Reinhold Wellen im NDR.

Übung "Red Storm Alpha": Militär sichert Hafengelände. Foto: Bundeswehr

Hamburg spielt in den Planspielen eine zentrale Rolle. Schließlich ist der Hafen ein bedeutender Logistikhub – auch aus militärischer Sicht. Die Terminals, der Elbtunnel, die Autobahnen und die Industrien sind wirtschaftliche Adern. Sie zu durchschneiden wäre trefflich geeignet, die Widerstandsfähigkeit Deutschlands zu schwächen.

Einige Experten sagen, der Krieg habe sogar schon begonnen. Denn Ausspähversuche sind an der Tagesordnung. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kürzlich im SPIEGEL: „Aber ja, dass Drohnen auch irgendwo über den Häfen, über den Eisenbahnanlagen unterwegs sind, dürfte niemanden überraschen.“

Aber nicht nur die Bundesrepublik hängt vom ökonomischen Blutkreislauf Hamburgs ab – es geht um ganz Europa. Hamburg hat bei NATO-Truppenverlegungen eine zentrale Rolle. Konkret geht es darum, mit Schiffen herbeigeführte Truppen und Gerät innerhalb kürzester Zeit an die Ostflanke der NATO zu verlegen: Panzer, Lkw, Abwehrsysteme und ganze Kompanien.



Der Hafen wird gesichert

Der Konflikt hat im Grunde schon begonnen. Cyberangriffe auf Hafeninfrastruktur, Industrien und kritische Einrichtungen sind längst Realität, auch wenn sie kaum kommuniziert und geheim gehalten werden. Auch Sabotage ist eine stets mögliche Bedrohung. Daher baut die Stadt eine neue Krisenabwehr-Organisation auf, betreibt Schwachstellenanalyse und schmiedet einen Resilienz-Plan.

Erste Schritte haben die Verantwortlichen sogar schon im Oktober 2023 bei einem „Hamburger Hafensicherheitsgipfel“ beschlossen: Die Gründung der „Allianz Sicherer Hafen Hamburg“. Das bedeutet Informationsaustausch, technische Sicherung und sogenannte „smart seals“ – das sind fälschungssichere Containerverschlüsse. Behörden, Zoll und Hafenwirtschaft koordinieren sich seither. Europaweite Fühler gibt es zu den Hafenstädten Rotterdam und Antwerpen. 

Bei der Übung „Red Storm Alpha im Herbst 2024 wirkten rund 100 Soldaten sowie Heimatschutzkräfte und zivile Partner zusammen. Dabei sicherten sie imaginäre alliierte Lieferungen per Seeweg. Das hieß: Checkpoints nahe von Schiffen, Fahrzeugkontrollen und Absicherung der Piers bei laufendem Hafenbetrieb. Beim kurz bevorstehenden Manöver „Red Storm Bravo“ werden fünfmal so viele Teilnehmer den Krieg üben.

Bald kommt der "rote Sturm"

Jetzt, vom 25. – 29. September, steht das Manöver "Red Storm Bravo" an - mit bis zu 500 Bundeswehrlern, Polizei, THW, Hafenfirmen, Airbus und Hubschrauberteams. Ziel: schnelle Verlegung von Truppen durch die Stadt, Nachtfahrten, Helikopterschutz. Allein von der Arbeitsagentur kommen 75 Personen dazu. In dieser Zeit kann es in der Stadt zu Staus und Fluglärm kommen.

„Mit ‚Red Storm Bravo‘ bereiten wir uns gezielt darauf vor, im Spannungs- oder Verteidigungsfall unsere Aufgaben zuverlässig wahrzunehmen und Hamburg als wichtigen Standort zu schützen,“ erklärt die Bundeswehr Hamburg auf Facebook. „Verteidigung und Resilienz sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben – wir nehmen sie gemeinsam mit unseren Partnern wahr.“



Kaserne in Iserbrook: Neues Leben in der Bude


Nicht jedem schmeckt das. So hat die Partei DIE LINKE im Bundestag eine Anfrage eingebracht, in der sie akribisch Auskünfte über das Hamburger Vorhaben verlangt. Für den 26. September hat sie eine Demonstration angekündigt. Motto: „Keine Kriegsübungen in unserer Stadt! Gemeinsam gegen ‚Red Storm Bravo‘.“

Die Elbvorte spielen bei dem Manöver eine ganz besondere Rolle. Denn die Einsatzleitung der Übung wird im beschaulichen Stadtteil Iserbrook sitzen. Die bislang vor sich hindämmernde Reichspräsident-Ebert-Kaserne, in der einst Helmut Schmidt eine international beachtete Grundsatzrede zum Konzept „Staatsbürger in Uniform“ hielt, wird von der Bundeswehrfachschule zur Operationszentrale aufgemotzt.

Von der Osdorfer Landstraße 365 aus sollen unter anderem „Störszenarien“ mit einer großen Zahl an Verletzten simuliert werden, um die Stressfähigkeit von Helfern und Abwehr zu testen. Oberstleutnant Jörn Plischke, Stabschef des Hamburger Landeskommandos, erklärte dem NDR:

„Die Übung dient dazu, dass wir uns besser kennenlernen und man schon im Frieden weiß, wen man anrufen soll, wenn es denn düster wird."

Er leitet die Militärübungen in Hamburg: Stabschef Oberstleutnant Jörn Plischke. Foto: Reservistenverband

Nebenbei bemerkt: Die Zeitenwende hat die ins Alter gekommene Ebert-Kaserne ähnlich wie die Baudissin-Kaserne in Osdorf bei der Bundesbauverwaltung in neues Licht getaucht. Die vermeintlich unwichtigen Standorte bekamen vor wenigen Monaten eine Bestandsgarantie für militärische Nutzung bis zum Jahr 2136. Nur Randbereiche können zivil bebaut werden. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) ist zufrieden: „Wir sorgen dafür, dass dringend benötigter Wohnraum entstehen kann, sollte die Bundeswehr Flächen teilweise nicht mehr benötigen.“

Was die Resilienz der Ämter angeht: Nun wird umgesetzt, was die FDP-Fraktion in der Altonaer Bezirksversammlung vor Jahren ähnlich gefordert hatte, aber im Amt abblitzte - Notfallpläne mit Krisenstab, Alarmierungen, App-Alerts und Definition kritischer Dienste. So etwas nutzt auch im Frieden, denn jeder IT-Ausfall kann im Bezirksamt Wichtiges lahmlegen, etwa Gesundheits- oder Sozialdaten. Was die damalige grüne Amtsleiterin Stefanie von Berg gegenüber den Liberalen weit von sich gewiesen hatte – heute ist das Anliegen aktueller denn je.

Fazit: Nach Jahren des Friedens ist der Ernstfall plötzlich ein mögliches Real-Szenario geworden – auch in Altona. So, wie hier, unterziehen sich derzeit überall im Lande die Städte und Kommunen einer Art „Operation Kriegs-Fitness“. Es geht um handlungsfähige, resilient aufgestellte Strukturen, die bei Belastung nicht kollabieren, sondern widerstehen.

Und die Bürger? DorfStadt hat erfahren, dass die Ämter im Frühjahr 2026 auf die Öffentlichkeit zugehen wollen. Dann soll sich jedermann mit dem Gedanken vertraut machen können, dass auch Einrichtungen wie der Hochbunker im denkmalgeschützten August-Lütgens-Park zu Altona wieder mehr Bedeutung haben könnten, als nur eine versteckt gelegene Kletterstrecke zu sein.

Tipp: Klettern am Hochbunker